BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Siegen

Stadtverband und Ratsfraktion

Sozialwissenschaftler Wolfgang Kessler (Publik-Forum) fordert in Siegen: "Grundeinkommen und Öko-Bonus als Schritte auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit!"

Auf Einladung des Kreisverbandes Bündnis 90/Die Grünen in Siegen-Wittgenstein, des Eine-Welt-Forums Siegen sowie der Siegener Ortsgruppe der globalisierungskritischen Organisation Attac und in Zusammenarbeit mit der Leserinitiative Publik-Forum stellte der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Kessler jetzt im Atriumssaal der Siegerlandhalle seine Konzepte zu mehr sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit zur Diskussion.

"Aufregend ist", so Kessler, der zugleich Herausgeber der unabhängigen christlichen Wochenzeitschrift "Publik-Forum" ist, "dass jetzt in kurzer Zeit die zweite große existentielle Krise nach der Umweltkrise diese Republik erschüttert: die Finanz- und Wirtschaftskrise." Kessler erinnerte daran, dass noch im September vergangenen Jahres führende deutsche Politiker unser Land im Aufwind sahen: "Merkel ließ noch im September verlauten: 'Es geht uns wieder besser in Deutschland.' Nur Tage später, am 15. September 2008, brach mit dem Kolapps der amerikanischen Investmentbank Lehmann Brothers die internationale Finanzkrise aus, die sich längst zu einer fundamentalen Wirtschaftskrise ausgewachsen hat", für die Kessler vier Krisenphänomene ausmacht: das Anwachsen der Armut, die Auflösung des traditionellen Arbeitsmarktes, die Verwandlung von Geld und Unternehmen in Spekulationsobjekte sowie die sich verschärfende ökologische Krise.

"Die wichtigste Konsequenz", so Kessler, "ist die, dass wir die Krise nicht mit einem einfachen 'Weiter so' in den Griff bekommen." Anstatt einfach nur auf "mehr Wachstum, höhere Löhne, mehr Gewinne, mehr Investitionen, also den Kreislauf der 1950er Jahre zu setzen", seien grundlegende Neuorientierungen gefragt. Kessler bot fünf socher Strategien an: "Investitionen in eine nachhaltige Zukunft", die aber nicht allein durch höhere Schulden, sondern durchaus auch durch "höhere Steuern" zu finanzieren seien: Steuern auf höhere Einkommen, Vermögen und Luxusgüter - um dieses Geld dann in Innovationen, Bildung, Forschung, Entwicklung, eine umweltverträgliche Verkehrswende und die Energiewende zu investieren. Sodann forderte Kessler "eine Form von Sozialpolitik, die die Menschen in den wichtigsten Lebensbereichen nach unten absichert: bei der Arbeit, im Alter und bei Krankheit." Im Bereich der Arbeit durch einen Mindestlohn, der in 20 von 27 EU-Staaten auch jetzt schon existiere, im Bereich Rente und Krankenversicherung durch Bürgerversicherungen nach dem Vorbild der Schweiz bzw. Österreichs.  Auch ein "neuer Umgang" mit Geld sei gefordert, sowohl mit dem "großen Geld", für das es "klare Regeln" geben müsse: "strenge Eigenkapital-Regelungen, Sicherheitsvorschriften, Verbot besonders riskanter Spekulationen", als auch im Umgang mit dem "kleinen Geld", durch Vermögensanlagen und Spareinlagen etwa bei Öko-Banken.

Kessler beließ es  jedoch nicht bei diesen naheliegenden Schritten, sondern forderte darüberhinaus grundlegendere Weichenstellungen: Öko-Bonus und Grundeinkommen.

Das in der Schweizer Stadt Basel bereits praktizierte Modell des "Öko-Bonus" besteuert den Energie- und Ressourcenverbrauch der Bürger und zahlt zugleich einmal im Jahr an jeden Bürger "vom Baby bis zum Greis" 250 Euro: "Die Gewinner sind diejenigen, die mit dem geringsten Energieverbrauch auskommen: Unternehmen und Privathaushalte, die Strom und Sprit sparen, werden am Ende mehr von Staat herausbekommen, als sie über die Öko-Steuer bezahlen. Das ist der Öko-Bonus."

Die zweite grundlegende Weichenstellung ist in den Augen Kesslers zwar noch Zukunftsmusik", aber wird mittlerweile selbst von der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung als finanzierbar beschrieben: das sogenannte Grundeinkommen, das Kessler in der Variante der "negativen Einkommensteuer" favorisiert: "Jedes Kind erhält z.B. 250 Euro, jeder Erwachesene 750 Euro. Dieses Grundeinkommen wird mit der zu zahlenden Einkommenssteuer verrechnet. Beispiel: Wer 1000 Euro verdient und darauf 25 Prozent Steuern zahlt, erhält vom Finanzamt noch 750 minus 250, also 500 Euro." Somit bleibt nach Kessler die Erwerbsarbeiter von zentraler Bedeutung, zugleich aber werden Spielräume für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten geschaffen - "und dies nicht nur für die Wenigen, die sich diese Freiräume heute schon auf dem Markt kaufen können": Aufwertung von Bürgerarbeit, die individuelle Gewichtung von Familien- und Erwerbsarbeit, Spielräume für Eigeninitiative, eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber ausbeuterischen Arbeitgebern.

Der Sprecher des grünen Kreisverbandes, Dr. Peter Neuhaus, erinnerte daran, dass die Grünen vor Ort die grundeinkommensmodelle bereits intensiv diskutiert haben, so gemeinsam mit dem evangelischen Sozialpfarrer Wolfgang Belitz und dem Sozialwissenschaftler Michael Opielka, und dass die Grünen die Diskussion unbedingt weiterführen, wozu auch ein anwesender Vertreter der "Kölner Initiative Grundeinkommen" (www.bgekoeln.de) die Anwesenden ermunterte.

Abschließend resümierte Kessler: "Die vorgeschlagenen Schritte eröffnen eine Chance: nämlich dieser gelähmten, verunsicherten Gesellschaft, in der alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann, neues Leben einzuhauchen." Im Anschluss an die Veranstaltung machte Kessler sich auf dem Weg zum evangelischen Kirchentag nach Bremen, um auch dort für seine konkreten Visionen zu werben.

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